Mittwoch, 27. Mai 2009

Krisenzeit: Ein Prozess wird spürbar

Ein Artikel von Peter Varsek

Ein Mensch kam zu einem Meister und wünschte Heilung. Der Meister fragte ihn: „
Willst du wirklich Heilung?“. Der Mensch wunderte sich über diese Frage: „Wenn ich es nicht wollte, würde ich mir dann die Mühe machen zu kommen?“ „Oh ja, die meisten Menschen tun das.“, antwortete der Meister. „Wozu?“, wollte der Mensch wissen. Der Meister schaute den Menschen an und sagte: „Nicht wegen der Heilung kommen sie, denn sie tut weh. Sie kommen, um Erleichterung zu finden.“ Später erklärte der Meister seinen Schülern das wirkliche Problem: „Menschen wünschen sich Heilung ohne Schmerzen. Das ist das gleiche wie solche Menschen Fortschritt ohne Veränderung wünschen.

In der Beratung bzw. Therapie haben wir es mit Heilung zu tun. Wir wissen, dass Heilung ein Prozess ist, der aber immer mit Schmerzen verbunden ist. Wir wissen auch, dass das dazugehört und es heilsam ist. Geduldig begleiten wir diese Menschen in ihrem Prozess und machen Mut weiterzugehen. Das Ganze ist auch eine Reise, dessen Ankunft sich nie genau vorhersagen lässt. Ebenso wenig wissen wir, wie es anschließend konkret aussehen wird. Zwar haben wir so unsere Vorstellungen und Ahnungen, doch wissen können wir es nicht. Eines wissen wir mit Sicherheit: Es ist nie umsonst.

Zurzeit werden wir täglich in den Medien mit der Finanzkrise auseinander gesetzt. In manchen Blättern herrscht wahre Weltuntergangsstimmung, was nicht wirklich hilfreich ist. Denn es versperrt den Blick auf das Ganze. Bevor wir also zu schnell feststellen wollen, dass wir gerade das Strafgericht Gottes durchmachen, sollen wir uns fragen, ob das nicht einfach ein Wandlungsprozess ist? Ein Prozess, der sicherlich schmerzt. Ertappen wir uns dabei nicht als Patienten bzw. Klienten, die sich eine Abkürzung ohne Schmerzen wünschen?

Die Weltwirtschaftskrise hat m.E. reinigenden Charakter. Das Ganze erinnert hier ein Stückweit an das Jobeljahr, auch Erlassjahr, in 3. Mose 25,10ff. Zwar geht es darin, um die Freilassung der Sklaven und die Rückkehr der Besitztümer an den eigentlichen Eigentümer. Doch im Kern geht es hier um die Herstellung von Verhältnismäßigkeit. Das Jobeljahr fand jeweils nach sieben Sabbatjahren statt. Der Grundgedanke vom Sabbat ist der Ausgleich. Betrifft das Sabbatgebot im Dekalog, den zehn Geboten, quasi den Einzelnen und das unmittelbare Umfeld (Familie, Arbeiter im Haus, und Tiere), so fand im Sabbatjahr eine Ausweitung statt. Nicht allein das Aufhören der Arbeit, so auch der hebräische Begriff
schabbat (vgl. Ex 23,12), stand allein im Vordergrund, sondern auch seine Wiederherstellung. Im wöchentlichen Sabbat und im Sabbatjahr galt die Wiederherstellung der vollständigen Harmonie von Mensch und Natur (vgl. Erich Fromm: Haben oder sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. München ³³2005, 69.), aber auch der eigenen Kräfte und Ressourcen. Im Jobeljahr fand die Wiederherstellung darin statt, dass Schulden erlassen wurden, und Besitz zu ihren eigentlichen Eigentümern zurück kam.

Unsere derzeitige Angst liegt tiefer, als „nur“ eine Krise zu durchleben. Wir erfahren, dass die Schwellenländer wirtschaftlich zunehmend die Nase vorne haben. Begleitet wird der Gedanke von der alten linear-binären Logik: Wenn es dem einen gut geht, muss es dem anderen schlecht gehen. So nach dem Motto, Wohlstand kann immer nur auf Kosten der anderen gehen. Oder auch: Wenn andernorts der Wohlstand gelingt, bedroht sie unseren Wohlstand. Nur wer genauer hinschaut, wird feststellen, dass diese Logik so nicht mehr stimmt. Richtig ist: Schwellenländer haben aufgeholt bzw. sind im Aufholen, und 3. Welt-Länder holen ebenfalls mächtig auf. Wie sonst ist zu erklären, dass Mosambik 2002 nach der Elbe-Flut in Deutschland mit einem Benefizkonzert 300 000 Dollar für hilfsbedürftige Deutsche einbrachte? Ein Land, das sich 20 Jahre lang in einem Kalten-Krieg-Stellvertreterbürgerkrieg befand, das ca. vor zehn Jahren zu Ende ging, und nun im Wirtschaftswachstum immer wieder die 10 %-Marke überschreitet (vgl. Matthias Horx: Anleitung zum Zukunftsoptimismus. Warum die Welt nicht schlechter wird. München 2009, 93.). Damit wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass insgesamt, global, eine Angleichung des Wohlstands statt findet. Und diese Angleichung ist eine Veränderung von Altem. Von Altem, das auf dem Prinzip „auf Kosten der anderen“ baute.

Wir durchleben Veränderungen. Und das schmerzt. Was sich bisher an Strukturen bewährt hatte, bewährt sich heute nicht mehr. Vieles verlagert sich. Vieles verschiebt sich. Hilfreich ist hier anzupacken, und zu helfen, dass andere Möglichkeiten und Chancen sehen und erkennen. Auch und gerade als Berater bzw. Therapeuten. Mit Franklin D. Roosevelt: „
Tu, was du kannst, mit dem, was du hast, und dort wo du bist.“ Oder wenn hier schon ein Politiker zitiert wird: „Gib nie, nie, nie, nie auf.“ (Winston Churchill; übrigens der ganze Inhalt einer seiner Reden).

(Bild: www.pixelio.de, Gerd Altmann)

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