Dienstag, 2. Juni 2009

Dilemma in der christlichen Beratung?!

Wenn Sünde, was dann?

Ein Artikel von Dennis Riehle

Nicht nur beim aktuell oft diskutierten Thema der Homosexualität stellt sich bibeltreuen und geschichtlich-kritischen Theologen die Frage: Ist das wirklich Sünde? So, wie Gott sie auch versteht? Und nicht nur das: Was tun, wenn man einen "Fehltritt" als Sünde "entlarvt" hat?

Gerade auch christliche Berater scheinen hier vor einem Dilemma zu stehen: Kann man einem Klienten zumuten, ihm zu offenbaren, dass das von ihm Geschilderte Sünde ist? Denn auch wenn wir wissen: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein" (nach Joh 8,7) - wir also alle beladen sind mit Schuld und Pein -, ist es immer wieder schwierig einzugestehen, ein Sünder zu sein.

Verbinden wir doch bis heute mit der Sünde ein Vergehen gegen die Gebote. Und bereits im Alten Testament war klar: "Wenn ein Mann oder Weib irgend eine Sünde wider einen Menschen tut und sich an dem Herrn damit versündigt, so hat die Seele eine Schuld auf sich" (4. Mose 5,6).

Ja, Schuld auf der Seele. Diese tragen wir auch weiter - selbst wenn wir Vergebung erfahren haben. So sieht es zumindest die feministische Theologin Klara Butting, die auf dem Evangelischen Kirchentag in Bremen sprach. Sie führte aus, dass "Gott in der Vergebung zwar die Sünde des Einzelnen beseitige", allerdings, so machte sie deutlich, blieben "die unheilvollen Konsequenzen der Schuld wie etwa Ungerechtigkeiten jedoch bestehen" (idea online berichtete am 23. Mai 2009).

Das sagt noch nichts darüber aus, was Sünde ist - und wann Sünde beginnt. Gehen wir aber nach Interpretationen, die bereits in der Schöpfungsgeschichte ansetzen, so werden wir in der Nachfolge Adams und Evas ohnehin nicht mehr rein werden können. Die "Erbsünde", die uns bis heute das törichte Verhalten nach (Neu-)Gier vorhält, belastet uns dauerhaft. Wir tragen Schuld der ersten Menschen - und können bereits daher mit Sünde leben. Denn was zählt es schon, auf die "Erbsünde" noch die ein oder andere im laufenden Leben aufzusatteln - mag sich jemand fragen, der auch in der von der Kirche heute oft gelebten Sorglosigkeit schwebt. Klara Butting formulierte, es heiße in der christlichen Verkündigung mittlerweile "Bekenne deine Sünde, dann erhältst du Vergebung und alles ist gut".

Und tatsächlich hat die Praxis besonders der katholischen Kirche in der Vergangenheit mit der Schuld des Menschen ihr Unwesen getrieben. "Der Taler im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt" - eine einfache Art, sich von seiner Sünde freizukaufen. Luther brachte hier eine Kehrtwende. Und keinesfalls schloss er sich an, den Menschen von heute für das zu strafen, was im Paradies schief gelaufen war. Nein: er machte uns klar, was wir auch in den Psalmen zu lesen bekommen: "Denn ich erkenne meine Missetat und meine Sünde ist immer vor mir" (Psalm 51,5).

Wenn wir ernsthaft spüren, was unser Vergehen war und dies bereuen, können wir darauf hoffen, die Schwere der Schuld von uns genommen zu bekommen. Die Sünde wird uns begleiten. Aber wir dürfen darauf vertrauen, dass wir von ihr rein gewaschen werden (Psalm 51,4). Das bedeutet nicht, dass wir fortan frei von dem sind, was wir getan haben. Nein, aber wir dürfen wissen, dass einer mit uns die Schuld trägt. Und nach dem Sprichwort "Geteiltes Leid ist halbes Leid" empfinden wir eine deutliche Entlastung. Gott haben wir uns anvertraut. Wir waren mutig, wir sind zu unseren Fehlern gestanden. Das ist die eigentliche Stärke: Es ist wahrlich kein Verdienst, seinen letzten Cent für die Vergebung zu opfern. Aber es spricht von großer Würde, seine Sünde vor sich zu sehen und ihr nicht zu entweichen.

Denn zwischen Hiobs "Ich bin rein, ohne Missetat, unschuldig und habe keine Sünde" (Hiob 33,9) und dem vom evangelischen Theologen Jörg Zink ebenfalls auf dem Kirchentag zurecht kritisierten jahrhundertelange Pauschalisieren des Menschen als "notorischen Übeltäter" (idea spektrum berichtet in Ausgabe 22/2009, S. 18) durch das, was der Sündenfall über uns gebracht haben soll, liegt ein großer Zwischenraum. Ein Zwischenraum, der wirklich menschlich ist.

Und wenn wir uns diesen Spielraum zugestehen, dann ist auch die Frage nach dem "Was ist Sünde?" zweitrangig.

Als Berater müssen wir uns nicht vor der Begrifflichkeit der Sünde verstecken. Wir selbst sind von ihr befangen. Und auch wir müssen sie tragen. Aber wenn wir sie in einem richtigen Maß einordnen, weder als Erblast, noch als automatisch zu vergebendes Anhängsel, dann wird Sünde auch sinnvoll. Sie ermahnt uns, macht uns aber auch Hoffnung auf Annahme durch Gottes - und allein durch seine - Vergebung.

Denn auch nur er allein weiß, was er uns vergeben muss. Seine Richtschnur sind die Gesetze, die er uns vorgegeben hat. Sie sind klar - und sie schützen auch. Nicht alles, was unsere menschlichen Werte als Schuld abtut, ist aus seinem Blick ein Übertritt. Genauso gilt es umgekehrt: Auch wenn wir uns heute um Gebote wie das der Heiligung des Feiertages mit Ausreden und Rechtfertigungen winden, stellen sie doch ein Abwenden von Gottes Plan dar. Hierfür müssen wir uns zwar irdisch nicht verantworten, aber es mit uns selbst ausmachen, wie wir leben möchten. Gott schenkt uns seine Hand, er überträgt uns aber auch reichlich Verantwortung. Ein Ausspielen Gottes, ihn dann zu nutzen, wenn wir ihn brauchen - und uns mit Herabspielungen à la "Wird schon nicht so schlimm sein..." aus seinem Willen zu entziehen, könnte eine der verhängnisvollsten Sünden sein.

Und so kann die Botschaft jedes sündigen Beraters an jeden sündigen Klienten lauten: Verantworte dein Leben, so kannst du es auch vor Gott verantworten. Sünden sind da, aber sie müssen dich nicht schwächen, solange du mit dir selbst und mit deinem Glauben ehrlich umgehst.


(Bild: www.pixelio; SaraC.)